Wenn Arbeit zur Falle wird – Die Risiken der Vertrauensarbeitszeit
Veröffentlicht am 18.03.2025 von Fredy Pillinger, Verkaufsleiter - Bildquelle: Getty Images
Ein Unternehmen verkündete stolz neue Massnahmen zur Burn-out-Prävention: Experten standen den Mitarbeitenden beratend zur Seite und gaben wertvolle Tipps, etwa wie wichtig es sei, auch einmal "Nein" zu sagen. Doch als eine Angestellte diesen Ratschlag umsetzte, wurde sie prompt von ihrem Vorgesetzten zurechtgewiesen. Ein bezeichnendes Beispiel für die Realität in vielen Betrieben.
Arbeitszeitregelungen bieten oft keinen Schutz vor Überlastung, denn die ungeschriebenen Gesetze eines Unternehmens werden nicht durch Verträge, sondern durch gelebte Praxis bestimmt. Wer pünktlich den Feierabend antritt, kann schnell in Verdacht geraten, nicht engagiert genug zu sein. Besonders die Vertrauensarbeitszeit hat sich in vielen Firmen etabliert – oft zulasten der Mitarbeitenden. Ein Pilotprojekt in der Bankenbranche zeigte, dass ohne Arbeitszeiterfassung deutlich mehr gearbeitet wird, ohne dass entsprechende Ausgleiche eingefordert werden. Viele neigen zur Selbstausbeutung und bräuchten eigentlich Schutz vor sich selbst. Dennoch arbeitet bereits ein erheblicher Teil der Beschäftigten ohne feste Zeiterfassung.
Dieser Druck entsteht durch verschiedene Mechanismen: die Angst vor Jobverlust, ständige Umstrukturierungen und eine Beförderungskultur, die vor allem diejenigen belohnt, die jederzeit erreichbar sind – auch wenn dies nichts über die Qualität ihrer Arbeit aussagt. Zudem wird Arbeitslast auf immer weniger Schultern verteilt, während Unternehmen großzügig Termine zusagen, aber beim Personal sparen.
Ein zentrales Problem liegt darin, dass viele die Erwartungen des Arbeitgebers verinnerlichen, ohne ihre eigenen Bedürfnisse zu berücksichtigen. Der Beruf wird zur zentralen Identität, und persönlicher Wert misst sich an Arbeitsleistung. Doch wer sich nur über den Job definiert, läuft Gefahr, sich selbst auszubeuten. Auch der soziale Druck spielt eine Rolle: Wenn alle anderen ständig Überstunden leisten, fällt es schwer, sich dagegenzustellen. Statt gemeinsam für bessere Bedingungen einzutreten, bleiben viele Einzelkämpfer.
Mut zur Abgrenzung ist essenziell – nicht aus Bequemlichkeit, sondern um langfristig leistungsfähig zu bleiben. Wer sich gegen Überforderung schützt, tut letztlich auch der Firma einen Gefallen, denn Stress und gesundheitliche Ausfälle verursachen hohe Kosten. Entscheidend bleibt die innere Haltung: Nur wer seinen Selbstwert nicht allein aus der Arbeit zieht, kann eigene Grenzen setzen und verteidigen.
Das Phänomen des "Karoshi" – Tod durch Überarbeitung – ist längst nicht mehr auf Japan beschränkt. Tragische Fälle aus der Finanzbranche zeigen, dass exzessive Arbeitszeiten ernste Konsequenzen haben können. Ein bewusster Umgang mit der eigenen Arbeitszeit ist daher nicht nur ein individueller, sondern auch ein gesellschaftlicher Imperativ.